Arzneimittel­therapie­sicherheit: Hätten Sie es gewusst?

Frau beim Arzt

Frau Fischer ist 54 Jahre alt und kommt eine Woche nach einem Zeckenstich in Ihre Praxis. Sie ist besorgt, da sich eine ringförmige Hautrötung um die Einstichstelle gebildet hat, die über die Tage hinweg größer wurde.

Nachdem Sie die Hautstelle gesehen haben, verordnen Sie Frau Fischer aufgrund des typisch ausgeprägten Erythema migrans Doxycyclin (200 mg 1mal/Tag) über 10 Tage.

Sie fragen nach, ob Ihre Patientin derzeit noch andere Medikamente einnimmt. Frau Fischer verneint, allerdings habe sie sich Kautabletten gegen Sodbrennen in der Drogerie gekauft.

 

Was kann hier passieren?

Doxycyclin ist ein bakteriostatisches Breitbandantibiotikum aus der Klasse der Tetracycline. Es ist seit mehr als 50 Jahren auf dem Markt und gilt nach wie vor als therapeutischer Standard zur Behandlung der Lyme-Krankheit.1,2,13 Trotz der guten Verträglichkeit von Doxycyclin verglichen mit älteren Tetracyclinen kann die Einnahme mit gastrointestinalen Beschwerden verbunden sein.1,3

Im Antazidum, das Frau Fischer zu Hause hat, sind die Stoffe Aluminiumoxid und Magnesiumhydroxid enthalten. Bei zeitgleicher Anwendung von Doxycyclin mit mehrwertigen Kationen (z. B. Calcium, Eisen, Zink, Aluminium, Magnesium) bilden sich sehr schwer lösliche Verbindungen, sogenannte Chelat-Komplexe. Durch diese Verbindungen kann die ursprünglich gute Resorptionsquote von Doxycyclin (90 bis 100 %) beeinträchtigt sein.3 In einer Studie an gesunden Freiwilligen wurde festgestellt, dass die Einnahme von Doxycyclin 30 Minuten nach einem Antazidum (Aluminium/Magnesiumhydroxid) zu einer signifikant verringerten gastrointestinalen Aufnahme des Antibiotikums führte.  Die Bioverfügbarkeit von Doxycyclin war um ca. 85 % reduziert, was mit subtherapeutischen Serumspiegeln einherging.6 Auch in Untersuchungen mit Eisensulfat zeigten sich reduzierte Serumspiegel von Tetracyclin und seinen Derivaten (40 bis 90 %).11 Bei zeitgleicher Anwendung besteht also bei Frau Fischer das Risiko einer verminderten antimikrobiellen Wirksamkeit - im schlimmsten Fall droht ein Therapieversagen.

 

Welche Einnahme-Hinweise sind notwendig?

Falls die gemeinsame Anwendung von einem Antazidum und Doxycyclin erforderlich ist, muss auf eine zeitversetzte Anwendung geachtet werden.1,5 Die Empfehlungen variieren je nach Quelle zwischen 2 bis 3 Stunden vor bzw. nach der Einnahme von Doxycyclin.1,6

Grundsätzlich gilt: Je größer der Zeitabstand, umso sicherer ist die gemeinsame Anwendung.

Sie erklären Frau Fischer die zeitversetzte Einnahme. Daraufhin zeigt sich Ihre Patientin sehr verunsichert – sie möchte nichts falsch machen. Da Ihnen ohnehin bekannt ist, dass Ihre Patientin in letzter Zeit häufiger über störende Refluxsymptome klagte, die durch das Antazidum nur mäßig kontrollierbar waren, schlagen Sie einen Protonenpumpeninhibitor (PPI) vor.5,12 PPI wirken sehr effektiv säurehemmend und unterliegen keiner Komplexbildung mit Tetracyclinen.5 Besonders patientenfreundlich ist die i. d. R. ausreichende einmal tägliche Einnahme, bei der keine zeitlichen Abstände zu Doxycyclin eingehalten werden müssen. Allerdings sollte Frau Fischer darauf hingewiesen werden, den PPI vor dem Essen einzunehmen.9

Neben der Medikation sollte auch über den Mehrwert von nichtmedikamentösen Allgemeinmaßnahmen informiert werden wie z. B. vermeiden von Spät-Mahlzeiten, aufrechtes Schlafen oder Rauchverzicht.12

Soll Doxycyclin vermieden werden, ist Amoxicillin als weitere Erstlinientherapie bei Erythema migrans eine Möglichkeit. Nachgelagert kann auch Azithromycin in Betracht gezogen werden.2,13

 

Gibt es noch weiterführende Hinweise, die hilfreich für Ihre Patientin sein können?

Da eine Komplexbildung auch mit mehrwertigen Kationen aus der Nahrung (z. B. Calcium) auftritt, sind auch hier zeitliche Abstände empfehlenswert. Es ist zu berücksichtigen, dass Mineralwässer, Milchprodukte oder angereicherte Fruchtsäfte erhebliche Mengen an Calcium, Eisen und Magnesium enthalten können und so potenziell die Aufnahme von Doxycyclin beeinträchtigen.7

Milch und Milchprodukte beeinflussen Messungen zufolge die Doxycyclin Serumspiegel zwar meist nicht in wesentlichem Umfang (ca. 20 bis 30 %).1,10 Dennoch sollte, um eine optimale Wirksamkeit von Doxycyclin sicherzustellen, die Einnahme mit Leitungswasser erfolgen und ein zeitlicher Abstand zu Nahrungsmitteln und Getränken, welche mehrwertige Kationen enthalten, von 2 bis 3 Stunden eingehalten werden.7

Ein abschließender wichtiger Hinweis, unabhängig vom Therapieansprechen, ist die erforderliche UV-Protektion während der Einnahme von Doxycyclin. Für Doxycyclin ist eine photosensibilisierende Wirkung hinreichend bekannt. Der Patientin ist zu raten, im Freien konsequent auf UV-Schutz zu achten (durch Kleidung und Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor) und während der antibiotischen Therapie auf Solarienbesuche zu verzichten.8

 

Fazit:

Um die optimale Wirksamkeit von Doxycyclin zu gewährleisten, sind die folgenden Hinweise für Frau Fischer relevant:

  • Die Einnahme des ihr bekannten Antazidums ist möglich, muss aber zwingend mit einem zeitlichen Abstand erfolgen (2 bis 3 Stunden).
  • Kann dieser Einnahmeabstand nicht eingehalten werden bzw. ist eine effektivere Hemmung der Magensäure Produktion notwendig, kann z. B. Pantoprazol oder Omeprazol 20 mg 1mal/Tag gegeben werden.
  • Die Einnahmeabstände sind auch bei Nahrungsmitteln, Getränken oder anderen Arzneimitteln einzuhalten, die mehrwertige Kationen enthalten.

Ergänzend ist der Hinweis auf Sonnenschutzmaßnahmen sinnvoll.

Protonenpumpenhemmer sollten spätestens nach 8 Wochen wieder abgesetzt werden – auch das sollte mit der Patientin gleich besprochen werden. Um eine unkritische Wiederverordnung zu vermeiden, kann es z. B. hilfreich sein, das Medikament nicht als Dauermedikation zu kennzeichnen.

 

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Quellen:

[1] Holmes NE, Charles PGP. Safety and Efficacy Review of Doxycycline. Clinical Medicine Therapeutics. 2009;1

[2] Lantos PM et al. Clinical Practice Guidelines by the Infectious Diseases Society of America (IDSA), American Academy of Neurology (AAN), and American College of Rheumatology (ACR): 2020 Guidelines for the Prevention, Diagnosis and Treatment of Lyme Disease. Clin Infect Dis. 2021 Jan 23;72(1):1-8

[3] Sagar J. Doxycycline in clinical Medicine. Clinical Medicine Insights: Therapeutics. 2010;2

[4] Garg V et al. Antacids revisited: review on contemporary facts and relevance for self-management. Journal of International Medical Research. 2022;50(3)

[5] Patel D et al. A Systematic Review of Gastric Acid-Reducing Agent-Mediated Drug–Drug Interactions with Orally Administered Medications. Clin Pharmacokinet 59, 447–462 (2020)

[6] Deppermann KM et al. Influence of ranitidine, pirenzepine, and aluminum magnesium hydroxide on the bioavailability of various antibiotics, including amoxicillin, cephalexin, doxycycline, and amoxicillin-clavulanic acid. Antimicrob Agents Chemother. 1989 Nov;33(11):1901-7

[7] Veröffentlichung ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Sicher is(s)t sicher; April 2014

[8] Hofmann GA, Weber B, Medikamenten-induzierte Photosensibilität: auslösende Medikamente, mögliche Mechanismen und klinische Folgen. J Dtsch Dermatol Ges. 2021 Jan;19(1):19-30

[9] Shin JM, Sachs G, Pharmacology of proton pump inhibitors. Curr Gastroenterol Rep. 2008 Dec;10(6):528-34

[10] Meyer FP et al. Influence of milk on the bioavailability of doxycycline — new aspects. Infection 17, 245–246 (1989)

[11] Neuvonen PJ et al. Interference of iron with the absorption of tetracyclines in man. Br Med J. 1970 Nov 28;4(5734):532-4

[12] S2k-Leitlinie Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS); März 2023; AWMF-Registernummer: 021 – 013

[13] S2k-Leitlinie Kutane Lyme Borreliose der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft; März 2016; AWMF-Registernummer: 013/044

 

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