Mit Attrogy® ist der zweite zugelassene TTR-Stabilisator zur Behandlung der hereditären ATTR-Amyloidose erhältlich.
Die hereditäre ATTR-Amyloidose ist eine seltene, genetisch bedingte Systemerkrankung, von der weltweit schätzungsweise über 10.000 Menschen betroffen sind. Sie tritt meist im Erwachsenenalter auf und verläuft fortschreitend. Typisch sind eine sensomotorische und autonome Neuropathie sowie eine infiltrative Kardiomyopathie. Das klinische Bild und das Manifestationsalter variieren je nach Genotyp. Frühe Symptome umfassen Schmerzen, Verlust des Temperaturempfindens sowie Taubheits- oder Kribbelgefühle in den unteren Extremitäten. Im Verlauf entwickelt sich eine motorische Neuropathie mit Gangunsicherheit bis hin zur möglichen Rollstuhlpflicht. Autonome Störungen wie Darmanomalien, frühes Sättigungsgefühl, orthostatische Hypotonie und erektile Dysfunktion können insbesondere bei früh einsetzenden Formen bereits zu Beginn der Erkrankung auftreten. Bei den meisten Patienten kommt es zu einer Herzbeteiligung mit Merkmalen einer infiltrativen Kardiomyopathie, die Herzrhythmusstörungen und Herzversagen verursachen kann. Viele Betroffene zeigen einen gemischten Phänotyp mit neurologischer und kardialer Beteiligung.
Ursächlich sind mehr als 140 bekannte Mutationen im TTR-Gen, die das tetramere Transthyretin (TTR) destabilisieren. Dadurch kommt es zur Dissoziation in Monomere, deren Fehlfaltung und anschließender Bildung amyloider Ablagerungen in Geweben und Organen. Der Schweregrad der polyneuropathischen Beeinträchtigung wird bei Therapieentscheidungen häufig über das FAP-Staging-System beschrieben: Stadium 1 umfasst noch selbstständiges Gehen, Stadium 2 den Bedarf einer Gehhilfe und Stadium 3 eine Rollstuhlpflicht oder Bettlägerigkeit.
Zur Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose (hATTR) stehen neben der Lebertransplantation zwei Klassen krankheitsmodifizierender medikamentöser Therapien zur Verfügung: die parenteral verabreichten TTR-Silencer wie Eplontersen, Inotersen, Patisiran und Vutrisiran sowie der orale TTR-Stabilisator Tafamidis. Die TTR-Silencer sind für hATTR mit Polyneuropathie in den FAP-Stadien 1 und 2 zugelassen, wobei Vutrisiran zusätzlich auch bei ATTR-assoziierter Kardiomyopathie eingesetzt werden kann. Tafamidis ist bei hATTR mit Polyneuropathie im Stadium 1 sowie bei hATTR-assoziierter Kardiomyopathie zugelassen.
Neu hinzugekommen ist nun ein weiterer TTR-Stabilisator, der das therapeutische Spektrum erweitert: Mit Attrogy® steht eine zusätzliche orale Option zur Verfügung, die zur Behandlung erwachsener Patienten mit Polyneuropathie im Stadium 1 oder 2 infolge einer hereditären Transthyretin-vermittelten Amyloidose (hATTR-Amyloidose) zugelassen ist. Damit ist nun auch im Stadium 2 eine orale Stabilisator-Therapie möglich.
Der Wirkstoff in Attrogy®, Diflunisal, gehört zur Klasse der nichtsteroidalen Antiphlogistika und ist ein Difluorphenylderivat der Salicylsäure. Er stabilisiert das TTR-Tetramer und verhindert dessen Dissoziation in TTR-Monomere, die für die Bildung von Amyloid und das Fortschreiten der Nervenschädigung verantwortlich sind.
Attrogy® kommt als Filmtablette in der Stärke 250 mg in den Handel. Die empfohlene Dosierung beträgt eine Tablette zweimal täglich. Zur Verringerung des Risikos gastrointestinaler Nebenwirkungen sollten die Tabletten vorzugsweise zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Diflunisal darf nicht angewendet werden bei aktiven gastrointestinalen Blutungen, schweren Funktionsstörungen der Nieren oder der Leber, schwerem Herzversagen sowie während des dritten Schwangerschaftsdrittels und in der Stillzeit.
Grundlage der Zulassung durch die Europäische Kommission war eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-3-Studie, in der die Behandlung mit dem Transthyretin-(TTR)-Tetramer-Stabilisator Diflunisal den primären Endpunkt – die Veränderung des Neuropathy Impairment Score +7 (NIS+7) gegenüber dem Ausgangswert nach 24 Monaten – erreichte. Unter Diflunisal zeigte sich nach 24 Monaten ein mittlerer Anstieg des NIS+7 um 8,2 Punkte, verglichen mit 26,3 Punkten unter Placebo, entsprechend einem Unterschied von 18,0 Punkten (p < 0,001). Studienabbrüche traten überwiegend infolge einer Krankheitsprogression oder aufgrund der Notwendigkeit einer orthotopen Lebertransplantation auf.
Quellen:
[1] Produktinformation (EMA) Attrogy®; Purpose Pharma; 28. August 2025
[2] Veröffentlichung (Medicine Overview) EMA; 28. August 2025: Attrogy® (Diflunisal)
[3] Pressemitteilung Purpose Pharma; 31. Juli 2025: Purpose Pharma receives European Commission approval of ATTROGY® (diflunisal) for the treatment of hereditary transthyretin-mediated amyloidosis
[4] Veröffentlichung Website orpha.net: ATTR-Amyloidose, hereditäre (zugegriffen am 12.11.2025)
[5] Conceição I, et al. J Neurol. 2024;271(10):6655
[6] Fachinformation Amvuttra; Alnylam; Juni 2025