Mit Obgemsa® steht nun eine neue Therapieoption zur Behandlung des überaktiven Blasensyndroms bei Erwachsenen zur Verfügung.
Das neue Arzneimittel Obgemsa® des pharmazeutischen Herstellers Pierre Fabre Laboratories wird bei erwachsenen Patienten mit überaktivem Blasensyndrom (ÜAB Syndrom) eingesetzt. Es dient zur Linderung von Beschwerden wie plötzlich auftretendem Harndrang, häufigem Wasserlassen und unkontrolliertem Harnverlust bei starkem Harndrang.
Die Internationale Kontinenzgesellschaft definiert die überaktive Blase (auch Reizblase genannt) als einen Zustand, der durch gesteigerten Harndrang, häufiges Wasserlassen (Pollakisurie) und nächtlichen Harndrang (Nykturie) gekennzeichnet ist – mit oder ohne unkontrollierten Harnverlust (Dranginkontinenz) – ohne dass eine Harnwegsinfektion oder andere Erkrankungen vorliegen. Die Diagnose des überaktiven Blasen Syndroms wird gestellt, nachdem organische oder psychische Ursachen ausgeschlossen wurden. Sie stellt somit eine Ausschlussdiagnose dar. In Europa sind rund 70 Millionen Menschen vom Syndrom der überaktiven Blase betroffen, wovon die meisten Patienten 40 Jahre oder älter sind.
Der Arzneistoff Vibegron, wirkt, indem er an einen Beta-3-Adrenozeptor in den Muskelzellen der Harnblase bindet. Diese Bindung aktiviert den Rezeptor, was zu einer Entspannung der Blasenmuskulatur führt und die Kontraktionen der Blase beeinflusst. Die entspannte Muskulatur führt zu einer erhöhten Blasenkapazität während der Blasenfüllung, wodurch ungewolltes oder unkontrolliertes Wasserlassen verhindert werden soll. Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Obgemsa®, die bei bis zu 1 von 10 Behandelten auftreten können, zählen Harnwegsinfektionen (Infektionen, der den Urin ausscheidenden Wege) Kopfschmerzen, Durchfall und Übelkeit.
In der EMPOWUR-Studie, einer doppelblinden und randomisierten Phase-III-Studie, wurde die klinische Wirksamkeit von Vibegron mit Placebo sowie Tolterodin verglichen. Über 1.500 ÜAB-Patienten mit imperativem Harndrang und hoher Miktionsfrequenz mit oder ohne Dranginkontinenz erhielten Vibegron 75 mg, Tolterodin Retard 4 mg oder Placebo 1mal täglich oral über 12 Wochen. Die beiden koprimären Endpunkte der Studie waren die Veränderungen der durchschnittlichen täglichen Miktionshäufigkeit, sowie die Veränderung der durchschnittlichen täglichen Anzahl und Dranginkontinenzepisoden in Woche 12 gegenüber dem Ausgangswert.
Unter Vibegron wurde die mittlere Anzahl der täglichen Miktionen im Vergleich zum Ausgangswert um -1,8 Miktionen reduziert (im Vergleich zu -1,3 unter Placebo, p < 0,001). Die Reduktion unter Tolterodin lag bei –1,6 Miktionen am Tag. Die mittlere Anzahl von Dranginkontinenzepisoden sank unter Vibegron um -2,0 Episoden am Tag (gegenüber -1,4 unter Placebo, p < 0,0001). Tolterodin zeigte eine Reduktion von –1,8 Episoden pro Tag. Diese Ergebnisse zeigen eine statistisch signifikante Reduktion von Miktionshäufigkeit und Dranginkontinenzepisoden durch Vibegron im Vergleich zu Placebo sowie eine vergleichbare Wirksamkeit zu Tolterodin. Die angeschlossene Verlängerungs-Studie (40 Wochen) mit 506 Patienten aus der EMPOWUR-Studie ergab eine mittlere Veränderung der Miktionen vom Ausgangswert um ‒2,4 für Vibegron gegenüber ‒2,0 für Tolterodin und bei Episoden von Dranginkontinenz ‒2,2 gegenüber ‒1,7 (p < 0,05). Die Europäische Arzneimittelagentur schätzte den Nutzen von Obgemsa® bei der Zulassung zwar als gering, aber für Patienten mit überaktiver Blase als relevant ein.
Im Juni 2025 veröffentlichte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ihre Stellungnahme zur frühen Nutzenbewertung von Vibegron bei überaktiver Blase. Die AkdÄ kommt darin zum Schluss, dass sich in der Studie EMPOWUR sowie in der anschließenden Erweiterungsstudie in den Episoden des imperativen Harndrangs und der Miktionsrate zwischen Vibegron und Tolterodin kein entscheidender Unterschied zeigt. Die AkdÄ stimmt auch der Einschätzung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu, dass ein Behandlungsunterschied von einer halben Inkontinenzepisode pro Tag in klinischer Hinsicht als nicht signifikant gilt.
Der Wirkstoff Vibegron ist verschreibungspflichtig. Die Tablette mit 75mg Vibegron wird einmal täglich unabhängig von der Mahlzeit mit Wasser eingenommen. Die Tablette kann auch zerkleinert werden, um es in weiche Nahrung zu mischen und dann unverzüglich mit Wasser einzunehmen. Detaillierte Hinweise zur Anwendung von Obgemsa® finden Sie in der Packungsbeilage oder erhalten Sie von Ihrem Arzt oder Apotheker.
Quellen:
[1] Produktinformation (EMA) Obgemsa®; Pierre Fabre Medicament; 05. Juli 2024
[2] Veröffentlichung (Medicine Overview) EMA; 05. Juli 2024: Obgemsa®
[3] Pressemitteilung Pierre Fabre Laboratories; 28. Juni 2024: Pierre Fabre Laboratories gibt die Erteilung der europäischen Marktzulassung für OBGEMSA® (Vibegron) bei überaktiver Blase bekannt
[4] Veröffentlichung Website springermedizin.de: Overactive-Bladder-Syndrom bei Frauen (zugegriffen am 25.09.2024)
[5] Veröffentlichung IQWiG-Berichte – Nr. 2022; Projekt: A25-39 Version: 1.0 28.05.2025: Vibegron (überaktive Blase) Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V
[6] Veröffentlichung der Website akdae.de: Stellungnahme zur Nutzenbewertung Vibegron (Fazit der AkdÄ) (zugegriffen am 27.08.2025)
[7] Staskin D, et al. J Urol. 2021;205(5):1421
29.08.2025 - Hinweis der medizinisch-wissenschaftlichen Redaktion: In einer früheren Version wurde die Zulassungsstudie nicht ausreichend detailliert dargestellt. Dies wurde im aktuellen Update behoben. Zudem findet sich ein neuer Abschnitt zur Nutzenbewertung von Vibegron in dieser Version.