Mit Ogsiveo® steht das erste zugelassene Arzneimittel für die Behandlung von Desmoidtumoren zur Verfügung.
Ein Desmoidtumor ist ein gutartiger, jedoch lokal invasiver und aggressiver Weichteiltumor, der mit einer hohen Rezidivrate einhergeht, jedoch keine Metastasen ausbildet. Durch das schnelle Wachstum können angrenzende Gewebe und Organe geschädigt und das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigt werden. Es handelt sich um eine äußerst seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von lediglich 5 bis 6 Fällen pro 1 Million Menschen pro Jahr, wobei die Erkrankung am häufigsten im Alter zwischen 30 und 40 Jahren und bei weiblichen Personen auftritt. Desmoidtumore können grundsätzlich in allen Körperregionen auftreten und werden hinsichtlich ihrer Lokalisation in eine extraabdominale, abdominale und intraabdominale Form eingeteilt. Je nach Tumorlokation können die Symptome stark variieren und z. B. Schmerzen, Fieber, Störung bzw. Funktionsverlust des betroffenen Organs umfassen. Eine standardisierte Therapie ist aufgrund des variablen, unvorhersehbaren klinischen Verlaufs der Erkrankung schwierig.
Grundsätzlich stehen verschiedene Therapieoptionen für symptomatische Patienten zur Verfügung. Ein operativer Eingriff, eine Radiotherapie oder systemische Therapie mit Arzneimitteln ist möglich. Zur Pharmakotherapie können u. a. Nichtsteroidale Antiphlogistika, Tyrosinkinaseinhibitoren (z. B. Sorafenib) oder niedrig dosierte bzw. konventionelle Chemotherapien einschließlich liposomalem Doxorubicin eingesetzt werden. Ein operativer Eingriff galt lange als die Standardbehandlung für Desmoidtumore, doch in den letzten Jahren zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Der Fokus verlagert sich zunehmend auf ein konservativeres Vorgehen.
Mit Ogsiveo® ist jetzt erstmals ein Arzneimittel spezifisch als Monotherapie für die Behandlung erwachsener Patienten mit fortschreitenden Desmoidtumoren, die eine systemische Behandlung erfordern, zugelassen worden. Der enthaltene Wirkstoff Nirogacestat hemmt die Funktion der Gamma-Sekretase. Dieses Enzym spielt eine entscheidende Rolle für den sogenannten Notch-Signalweg, der das Zellwachstum beeinflusst. Durch Hemmung des Enzyms wird Aktivierung des Signalweges verhindert und das Tumorwachstum kann verlangsamt werden.
Die Zulassungsstudie (DeFi-Studie) war eine internationale, multizentrische, randomisierte (1:1), doppelt verblindete, placebokontrollierte Phase-III-Studie, an der 142 Erwachsenen mit fortschreitenden Desmoidtumoren teilnahmen. Als primärer Endpunkt wurde das progressionsfreie Überleben definiert. Ogsiveo® reduzierte signifikant das Risiko eines Fortschreitens der Erkrankung um 71% (Hazard Ratio [HR] = 0,29 [95 %-KI: 0,15, 0,55]; p < 0,001) verglichen mit Placebo. Zudem verkleinerte sich der Tumor bei 41% der Ogsiveo®-Patienten verglichen mit 8% unter Placebo-Behandlung. Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen waren Diarrhö, Ausschlag, Funktionsstörungen der Eierstöcke bei gebärfähigen Frauen, Übelkeit, Ermüdung, Hypophosphatämie, Kopfschmerz und Stomatitis.
Ogsiveo® kommt als Filmtablette zu 50 mg, 100 mg und 150 mg Nirogacestat in den Handel. Die Standarddosierung beträgt 150 mg 2-mal täglich. Bei auftretenden Nebenwirkungen kann die Dosis gemäß Produktinformation modifiziert werden.
Da Nirogacestat aufgrund des Wirkmechanismus ein Potenzial zu embryofetaler Toxizität zeigt, sind für Frauen im gebärfähigen Alter (einschl. Partnerinnen von männlichen Ogsiveo®-Patienten) besondere Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Während der Behandlung und eine Woche nach der letzten Dosis muss eine hochwirksame Methode zur Empfängnisverhütung angewendet werden (z. B. nicht-hormonelles Intrauterinpessar) bzw. ist bei anderen Verhütungsmitteln zusätzlich ein Kondom anzuwenden. Zudem ist vor Behandlungsbeginn eine Schwangerschaft durch einen Test auszuschließen.
Trotz bestehender Risiken für das ungeborene Kind und Unsicherheiten, bezüglich Nebenwirkungen auf Eierstöcke und Hoden, die weiterer Daten durch den Hersteller bedürfen, kommt die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zur Einschätzung, dass aufgrund des Mangels an Behandlungsoptionen die Risiken und Nebenwirkungen akzeptabel und beherrschbar sind und Ogsiveo® zugelassen werden kann.
Quellen:
[1] Produktinformation (EMA) Ogsiveo®; SpringWorks Therapeutics; Oktober 2025
[2] Veröffentlichung (Medicine Overview) EMA; 03. Oktober 2025: Ogsiveo® (Nirogacestat)
[3] Veröffentlichung Website orpha.net: Desmoid tumor (zugegriffen am 10.10.2025)
[4] Desmoid Tumor Working Group; The management of desmoid tumours: A joint global consensus-based guideline approach for adult and paediatric patients. Eur J Cancer. 2020;127:96-107
[5] Pressemitteilung Merck; 18. August 2025: Europäische Kommission erteilt Ogsiveo® Zulassung