Neues Arznei­mittel bei Krebs mit RET-Gen­mutation

15. März 2021
arzneimittel-neueinfuehrung
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Ab Mitte des Monats ist Retsevmo® (Selpercatinib) für Patienten mit bestimmten Lungen- und Schilddrüsenkarzinomen erhältlich.

Bei ca. 1-2% aller Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) sowie bei 10-20% aller papillären Schilddrüsenkarzinome liegen aktivierende Genfusionen der Tyrosinkinase RET (rearranged during transfection) vor. Aufgrund bestimmter RET-Punktmutationen oder chromosomaler struktureller Umlagerungen, wie z. B. RET-Fusionen mit verschiedenen Partnern, können konstitutiv aktivierte RET-Fusionsproteinen entstehen. Diese können als onkogene Treiber die Förderung der Zellproliferation von Tumorzellen und damit das Tumorwachstum begünstigen. Zudem sind RET-Mutationen beispielsweise bei medullärem Schilddrüsenkrebs (MTC) mit einem aggressiveren Krankheitsverlauf assoziiert, so dass die Tumoren der meisten Patienten mit metastasiertem medullärem Schilddrüsenkrebs RET-Mutationen aufweisen.

Der Wirkstoff von Retsevmo® ist Selpercatinib, ein hochselektiver RET-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor, der genau die oben beschriebene tumorfördernde Aktivität hemmt und in Monotherapie eingesetzt wird. 
Selpercatinib ist zur Behandlung Erwachsener mit fortgeschrittenem RET-Fusions-positiven NSCLC zugelassen, die eine systemische Therapie nach Platin-basierter Chemotherapie und/oder einer Behandlung mit Immuntherapie benötigen. Außerdem kann es bei Erwachsenen mit fortgeschrittenem RET-Fusions-positivem Schilddrüsenkarzinom nach einer Behandlung mit Sorafenib und/oder Lenvatinib angewendet werden. Als dritte Indikation stellt Retsevmo® eine systemische Therapieoption nach einer Behandlung mit Cabozantinib und/oder Vandetanib für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren mit fortgeschrittenem RET-mutierten medullären Schilddrüsenkarzinom dar. 
Die Dosierung für alle drei Anwendungsgebiete erfolgt gewichtsbezogen und wird für unter-50 kg-schwere Patienten mit 120 mg Selpercatinib zweimal pro Tag jeweils zur ungefähr gleichen Uhrzeit empfohlen. Patienten mit 50 kg Körpergewicht und mehr sollen 160 mg Selpercatinib zweimal täglich erhalten. Das Auftreten bestimmter Nebenwirkungen kann eine Dosisunterbrechung und/oder Dosisreduktion erforderlich machen.

Zur Beurteilung der Wirksamkeit und Verträglichkeit beim NSCLC wurden 105 Studienteilnehmer mit fortgeschrittenem NSCLC und einer RET-Gen-Fusion untersucht, die teilweise zuvor neben einer platinbasierten Chemotherapie oft auch eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren und/oder Multikinase-Hemmer durchlaufen hatten. Die meisten Patienten litten unter einem nicht-plattenepithelialem NSCLC und bei 98% der Studienteilnehmer lag zu Studienbeginn eine metastasierte Erkrankung vor. Die Behandlung mit 160 mg Selpercatinib zweimal täglich ermöglichte - unabhängig von der Zahl der Vortherapien oder der Art des RET-Fusionspartners - eine objektive Ansprechrate von 64%. Zudem erwies sich Selpercatinib auch bei Hirnmetastasen als wirksam.
Für die Zulassung beim fortgeschrittenen RET-Fusions-positiven Schilddrüsenkarzinom bildeten 19 Patienten mit bereits metastasierter Erkrankung die Grundlage der Effektivitätsbeurteilung. Die eingeschlossenen Patienten waren nach einer Radiojod-Therapie mit einer weiteren systemischen Therapie behandelt worden, insbesondere mit Sorafenib und/oder Lenvatinib. Die objektive Ansprechrate von Selpercatinib betrug in dieser Indikation 78,9%. 
Die primäre Bewertung der Wirksamkeit für RET-mutiertes MTC basierte auf den ersten 55 von 143 aufeinanderfolgend eingeschlossenen Patienten, die zuvor Cabozantinib und/oder Vandetanib erhalten hatten. In dieser primären Analysenpopulation waren Patienten ab 12 Jahren eingeschlossen, wobei das mediane Alter 57 Jahre (Spanne 17 bis 84 Jahre) betrug. Ergebnisse aus dieser Gruppe zeigten - unabhängig von der Art der RET-Punktmutationen - eine objektive Ansprechrate von 69,1%.

Das Nebenwirkungsprofil von Selpercatinib erwies sich in den Studien als verhältnismäßig gut handhabbar. Die häufigsten therapieassoziierten Nebenwirkungen vom Grad 3 oder höher waren Hypertonie (0,9%) sowie erhöhte Werte der Alanin- und der Aspartat-Aminotranferase (ALT, AST; 1,6%). Durch Dosismodifikationen waren diese jedoch meist reversibel. Insgesamt brachen sechs Prozent die Retsevmo®-Behandlung aufgrund unerwünschter Ereignisse, wie Überempfindlichkeit, erhöhter ALT-/AST-Werte oder Thrombozytopenie ab, unabhängig vom kausalen Zusammenhang. 

Retsevmo® wurde unter „Besonderen Bedingungen“ bedingt zugelassen, was bedeutet, dass weitere Nachweise für den Nutzen des Arzneimittels erwartet werden. Neue Informationen zu diesem Arzneimittel werden von der Europäische Arzneimittelagentur mindestens einmal pro Jahr bewertet. Zudem unterliegt Retsevmo® dem "Additional Monitoring", einer zusätzlichen Überwachung durch die Arzneimittelbehörden. Um eine schnelle Identifizierung neuer sicherheitsrelevanter Erkenntnisse zu ermöglichen, sind Angehörige von Gesundheitsberufen aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden.


Quellen:
[1] Fachinformation Retsevmo®; Lilly; Februar 2021
[2] Veröffentlichung Website lilly-pharma.de: Pressemitteilung - Neue Therapie für fortgeschrittene Tumore mit RET-Alterationen (zugegriffen am 09.03.2021)
[3] Drilon A, N Engl J Med. 2020; 383: 813–824
[4] Wirth LJ, et al. N Engl J Med. 2020; 383:825-835

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